Geometrisch - Biomorph :
        Die beiden Hauptrichtungen

    Trotz ihrer begrenzten Akzeptanz hörten Experimente mit gegenstands-
    losen Foto-Kompositionen auch nach 1930 nicht auf. Ja, ihre Zahl und
    Bandbreite nahm sogar eher zu, da man immer neue Methoden ent-
    deckte, sie zu produzieren.

    Bis zum Weltkrieg bildeten sich dabei zwei Richtungen heraus: die kon-
    struktivistische und die surrealistische.

    Der große Anreger für die konstruktivistische Richtung blieb Moholy-Na-
    gy, an dessen »New Bauhaus« in Chicago ab 1937 ein eigenes Labor
    für »Lichtgestaltung« existierte - geleitet von Moholy's etwas jüngerem
    Landsmann György Kepes.

    Was die Studenten dort erprobten, waren vor allem Foto- und Lumino-
    gramme, aber auch neue Spielarten des inszenierten Bilds. Wobei sich
    die Kompositionsideen im Rahmen konbstruktivistischer Bildvorstellun-
    gen bewegten, d. h. der freien Kombinatorik geo- bzw. stereometrischer
    Grundformen.

    Den anderen Focus abstrakter Fotografie bildete die Internationale der
    Surrealisten. Ihr verdankt das Genre eine Erweiterung der Bildverfahren
    um unkonventionelle Dunkelkammerprozess wie das Chimigramm und
    die Cliché Verre-Technik.

    Beim Chimigramm wird Negativmaterial oder Fotopapier der ätzenden
    Wirkung diverser chemischer Lösungen ausgesetzt. Was biomorphe
    oder vegetabile Formverläufe ergibt und Kompositionen, die eine starke
    Affinität zu Strukturen organischer Substanzen aufweisen, wie sie der
    Blick ins Mikroskop enthültt.

    Ähnlich phantasmagorische Resultate liefert auch das Cliché-Verre.
    Nur verdanken sich hier die Bildmotive mehr der Hand des jeweiligen
    Künstlers als den Zufallswirkungen chemischer Prozesse. Sie entste-
    hen nämlich dadurch, daß man eine Glasscheibe bemalt und sie dann
    als Negativ benutzt.

    All diese Experimente wurden durch den Zweiten Weltkrieg zwar unter-
    brochen, aber nie völlig gestoppt, sodaß das abstrakte Lichtbild schon
    kurz nach Kriegsende eine neue Blüte erlebte.

    Während der 50er Jahre war das internationale Kunstgeschehen ja fast
    völlig von ungegenständlicher Malerei beherrscht. Und das motivierte vie-
    le jüngere Fotografen, die ungegenständlichen Möglichkeiten ihres Me-
    diums zu erforschen.

    Parallel zur 'konkreten' Kunst kam es so zu einer Renaissance konstruk-
    tivistischer Foto-Kompositionen, und parallel zur »Art Informel« zu einem
    neuen Innovationsschub für biomorphe und gestische Foto-Abstraktio-
    nen in der Tradition des Surrealismus.

    Sie dauerten indes nur solange, bis der Kunstbetrieb durch den Sieges-
    zug der Pop Art eine neuerliche Wende zu figurativer Malerie erlebte.
    Danach verlor sich das Interesse für Foto-Abstraktionen fast gänzlich.