Die Ursprünge der
        Foto-Abstraktion

    Im Folgenden soll abstrakt ein Synonym für »ungegenständlich« sein;
    sowohl im Bereich der Malerei wie dem der Fotografie.

    Abstrakt in diesem Sinne wurde die Malerei um 1915 - mit dem Supre-
    matismus von Kasimir Malewitsch.

    Für den Film hieß das Stichjahr 1920. Damals präsentierte Viking Egge-
    ling in Berlin seine ersten abstrakten Kino-Experimente.

    Die ersten Beispiele abstrakter Fotografie datieren aus der Zeit dazwi-
    schen, dem Jahr 1917, und hatten den US-Amerikaner Alvin Langdon
    Coburn zum Autor, der damals in London lebte und sich vom Kubismus
    inspirieren ließ.

    Coburns Vortographs ähneln dem Blick in ein Kaleidoskop. Ums Ob-
    jektiv seiner Kamera herum brachte er drei Spiegel an, die den Bildge-
    genstand - ein Arrangement aus kleinen Holz- und Glasstücken - wie
    eine Tricklinse soweit verfremdeten, daß sich kristalline Strukturkom-
    positionen ergaben.

    Anders verfuhr wenig später Coburns Landsmann Francis Bruguière:
    Ab 1921 schnitt der sich seine (abstrakten) Kompositionen einfach aus
    festem Papier zu und konnte sie dann ganz ohne technische Tricks ab-
    lichten.

    Wie Coburns gehören die Aufnahmen Bruguières also zum Typ des »in-
    szenierten« Bildes, dessen Ungegenständlichkeit aus einem entsprech-
    enden Motiv-Arrangement vor der Kamera resultiert.

    Das »nszenierte« Bild ist freilich nur eine von vielen Möglichkeiten, ab-
    strakte Lichtbilder herstezustellen. Und - in der Frühphase ungegen-
    ständlicher Fotografie - nicht einmal die dominierende. Denn in den
    20er Jahren konzentrierte sich das Interesse mehr auf die Varianten
    kameralosen Arbeitens.

    Besondere Aufmerksamkeit genoß dabei das Fotogramm, das 1917
    von Christian Schad wiederentdeckt und ab 1921 zeitgleich von Man
    Ray in Paris und Laszlo Moholy-Nagy in Berlin aufgegriffen wurde.
    Sein Prinzip: Arrangiert man Gegenstände auf einem Stück Fotopapier
    und belichtet das Arrangement kurz mit einem Vergrößerer, bilden sich
    die Gegenstände - weil sie das Papier vor Lichtberührung schützen -
    als weiße Schatten ab. Und wenn es sich bei den Gegenständen um
    solche mit abstrakten Formen handelt, entsteht eine ungegenständli-
    che Komposition.

    Eliminiert man dann auch noch die Gegenstände und bearbeitet das Fo-
    topapier direkt mit moduliertem und/oder gebündeltem Licht (etwa einer
    Taschenlampe, einem Feuerzeug), erhält man ein völlig immaterielles
    Luminogramm.

    Da im Luminogramm der fotografische Prozess auf seinen elementar-
    sten Mechanismus - die Reaktion einer sensibilisierten Schicht auf die
    Berührung mit Licht - reduziert ist, sah Moholy im Luminogramm die
    exemplarischste Form der Fotografie, deren essentiellen Charakter er
    als Lichtgestaltung definierte.

    Obwohl in ihrer verblüffenden Konsequenz zuerst befremdlich, ist Mo-
    holys Bestimmung der Fotografie als Lichtgestaltung doch nicht minder
    »modern« (weil medien- und materialgerecht) wie ihre Festlegung auf
    die dokumentarische Funktion - nur weitaus revolutionärer. Was dazu
    führte, daß die Dokumentar-Ästhetik der »Neuen Sachlichkeit« am Ende
    der 20er Jahre als Inbegriff »moderner« Fotografie kanonisiert wurde
    und nicht das abstrakte Licht-Bild.