Leuners
»fortlaufende Anmerkungen« Nr. III
2004 - Seite 2
Die Events und ihre Auftritte
Ernüchterung
stellt sich bei den Titeln ein: »Jede Fotografie ein Bild«
- ja
und - Oder »Von Körpern und anderen Dingen« - aber was
ist denn kein
»Ding«- »Eine klare Vision«, das Menschenbild von
Herrn Gundlach -
»Grausam und zärtlich« - zwar irgendwie originell, aber
doch Poesie-
album. »Cruel und Tender« ist der Titel eines antiken Schockers
des Thea-
terautors Luc Bondy, der gerade mit großem Erfolg in London uraufgeführt
wurde.Was die Banalität der Titel ahnen lässt, bestätigt
sich bei den Aus-
stellungspublikationen. Die Schläuche sind groß - vier schwergewichtige
Kataloge mit aufwendigem Druck -, der Wein aber ist dürftig und mit
altem,
wiedergekäutem Inhalt.
Es ist schon erstaunlich, mit welchem ungebrochenen Selbstvertrauen Banalitä-
ten und kunsthistorische Lehrbuchweisheiten auf Hochglanzpapier in gespreiz-
tem Layout präsentiert werden. Niemand würde es Verübeln,
wenn solche Pu-
blikationen aus eigener Tasche bezahlt werden - jeder Galerist, jeder Künstler
muss das. Wer Katalogvorworte als lästige Pflichtübung auffasst,
vergibt die
Chance der Kunstvermittlung, des Diskurses und der wissenschaftlichen Aufar-
beitung - genuin Aufgaben der vom Steuerzahler finanzierten Kultur.
Hier als negatives Beispiel der Beitrag von Ulrich Bischoff in dem Katalog
»Jede Fotografie ein Bild«, Pinakothek der Moderne München:
»In allen vier
Bildgattungen - Landschaft, Stillleben, Portrait und Historie -kommt der
Künstler sowohl im Ölgemälde als auch im Medium Fotografie
der von Wilhelm
von Humboldt so einfach und unmissverständlich formulierten Aufgabe
nach:
Die allgemeine Aufgabe aller Kunst ist die Herstellung eines Bildes von
der
Wirklichkeit. Das Wirkliche in ein Bild zu verwandeln. Insofern kann man
auch
die Kunst der Fotografie neu formulieren: Aus der Kunst des Aufzeichnens
mit
der lichtempfindlichen Platte ist die Kunst der Umformung geworden. Auf
der
Suche nach Wahrhaftigkeit tastet sich das Auge in Analogie zur Hand der
Blinden am Gegenstand, am Leben möglichst nahe, - close to life -
, entlang,
um eine ungefähre Vorstellung vom Erahnten, Ertasteten zu erlangen.
Unter
geschichtlichen Gesichtspunkten ist Adornos phänomenologische Beschrei-
bung des Kunstwerkes von Gewicht:
Wesentlicher Faktor des Bildes ist das Gewordensein durch Umformung. Die
Erfassung des Wirklichen und damit der Qualität des Bildes muss sich
aber
am Grad der Zartheit messen lassen, mit der der Annäherungsprozess
erfolgt
ist: Wahrhaft durchgebildet sind Werke, in die die formende Hand dem Mate-
rial am zartesten nachtastet.« (Seite 31 des Katalogs)
Der Text ist
deutlich. Kunsthistorisches Gedankengut aus den verschmockten
70er Jahren, die Fotografie als ungebrochene Fortführung der gegenständ-
lichen Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts, und: Hier schreibt jemand
über
eine Sammlung, deren Konzept er ablehnt.
Der in der Siemenssammlung wesentlich von Thomas Weski geprägte
Sammlungskern macht sich die Position der »Straight Photography«
zu Eigen.
Und die besagt: »direkt fotografieren« und nicht die Kunst
erst dann anfangen
lassen, wenn das auf der Fotoplatte Aufgezeichnete durch die »Kunst
der Um-
formung« neu formuliert wird.
Ulrich Bischoff im Klartext: Ihm gefällt die digital bearbeitete Fotografie,
das
Inszenierte, möglicherweise noch die experimentelle Fotografie - also
alles,
wo keine »Maschine« direkt am Werk ist. Allein der Titel des
Aufsatzes von
Thomas Weski in dem Katalog zur Ausstellung »How you look at it«
von 1996 -
» Gegen Kratzen und Kritzeln auf der Platte« - zeigt deutlich,
welche Welten
hier aneinander vorbeireden. Was hat der Text von Bischoff in dem Katalog
über die Siemenssammlung zu suchen?
Peinlich wird
es für Ulrich Bischoff, wenn er mit Bildern des Dresdner Malers
Wilhelm Trübner, mit Postkartenmotiven von Van Gogh und Caspar David
Friedrich argumentiert und diese Bilder auch noch im Katalog reproduzieren
lässt. Es gibt eine Mindestanforderungen an Texte über Fotografie
- dank
Amerika auch nachzulesen, zum Beispiel in: »Criticizing Photographs
- an
introduction to understand images« von Terry Barret, Ohio State University
(ISBN 0-8748-906-3). Das sind 140 Seiten Handwerk. Und das kann man
erwarten. Wie das beispielhaft angewandt wird zeigt Peter Galassi mit
»Gurskys Welt«, Katalog Museum of Modern Art, New York, 2001
(ISBN 0-87 070-016-2, auch in deutscher Sprache).
Dort, wo die
Autoren um ihr Leben schreiben, bei den Ausstellungsrezen-
sionen, sind die Beiträge im Schnitt qualifizierter.