Leuners »fortlaufende Anmerkungen« Nr. III
      2004 - Seite 3

      Anregende Sätze gibt es immer, wenn der Verriss ansteht. Zum Beispiel
      Ronald Berg in Zitty 27/03 zu »Von Körpern und anderen Dingen«: Wer nicht
      träumt, erklärt wie Wolfgang Tillmans die Alltagskultur zur Kunst. Oder Edgar
      Schwarz in Kunstforum 166, S. 394: »Die Inszenierung des Realen« (auch als
      Begriff der Echtzeit) und seine nachträgliche Aneignung und Neubesetzung
      durch die Alltagsrezeption, und Walead Beshty in Texte zur Kunst Nr. 51,
      S. 167 : William Egglestons fotografische Essays als Befindlichkeit der
      Südstaaten-Aristokratie in einer Phase tief greifender Umwälzungen (Bürger-
      rechtsbewegung der 60er Jahre) über »Cruel and Tender«. Sowie Hansgert
      Lambers in dem oben erwähnten Artikel: Die Ablichtung von Inszenierungen
      ist doch keine inszenierte Fotografie!, und Brita Sachs in der FAZ vom
      24/02/2004 über »Jede Fotografie ein Bild«: Eine Eigengesetzlichkeit der foto-
      grafischen Bildsprache in Abgrenzung zur Malerei wird nur in der Abteilung
      »Historie« sichtbar, dem Sammelbecken für narrative und historische Kon-
      zepte. Da deuteten sich die zentralen Fragen an: »Wo steht die Fotografie
      im Zeitalter der globalen Medienkunst?« Es reicht eben nicht aus, mit einem
      Interview wie in «A clear Vision« den Sammler und seinen Kurator zu fragen:
      »Wie haben sie denn das gemacht?« Herr Gundlach ist nicht Hitchcock und
      seine Interviewpartner sind nicht Truffaut.
      Überhaupt dieses Interview! Sammler Gundlach und Kurator Felix werden von
      den Mittdreißigern Ingo Taubhorn und Ruppert Pfab »bestichwortet«, befragt ist
      wohl übertrieben. - O-Ton: »Herr Felix, was ist der Sammler, die Sammlerin
      für ein Typ Mensch?« Oder: »Wie würden denn sie eine eigene Sammlung auf-
      bauen?« Pfab an Gundlach: »Sie haben eine bedeutende private Photosamm-
      lung. Was treibt Sie an zu sammeln? Sie fahren auf Messen, sprechen mit
      Künstlern und Galeristen. Was ist Ihre Motivation, immer weiterzumachen?«
      Gundlach: »Das ist schwer zu beschreiben. Ich habe schon oft gesagt:
      Schluss, aus!«

      Was sich im ersten Moment ganz lustig liest und viel über die Eitelkeit der
      beiden Alt-68er aussagt, ist eigentlich deprimierend: Rupert Pfab hat 2001
      eine der ganz wenigen deutschen Monografien im Bereich der Fotografie vor-
      gelegt, die lesbar und mit intimer Kenntnis des Mediums geschrieben sind.
      Es handelt sich um seine Dissertation »Studien zur Düsseldorfer Photographie«
      (Weimar VDG, 2001, ISBN 3-89739-201-1), in der er die wichtigsten Düssel-
      dorfer Fotografen eingehend und differenziert befragt. Warum ist er nicht der
      Kurator? Um noch einmal nachzuhaken: Auf Seite 35 des Hamburger Kata-
      logs ist unter dem Titel »Kunstkammer I, Bild #8, Sammlung F. C. Gundlach«
      eine Fotografie von Ingo Taubhorn zu sehen, die ein Stillleben mit Büchern
      und Fotokisten zeigt ? wohl ein Raum bei Gundlach, in dem seine Foto-
      sammlung aufbewahrt wird. Man traut seinen Augen nicht: In den Original
      kartons für Fotopapier sind Sammlungsbilder verstaut! Bekanntermaßen
      sind diese Schachteln zur Archivierung von Fotografien wegen der enthal-
      tenen Chemikalien völlig ungeeignet.

      Die Bilder

      Das Herzstück des Katalogs bilden die Reproduktionen der Fotografien.

      Die Anforderungen sind klar: Wegen der Nähe zum Druck können gut repro-
      duzierte Fotografien durchaus den Eindruck des Originals vermitteln. Natürlich
      gelingt das besonders bei Bildern, die vom Fotografen bereits im Grafikformat
      gedacht waren und deren Anordnung der Bilder die medialen Regeln des
      Buchs berücksichtigt. Diese fotografische Buch- und Katalogkultur geht auf
      die Kunstfotografie-Zeitschrift Camera zurück, deren Herausgeber Allen Porter
      in den 60er Jahren die Idee der »Zeitschrift als Foto-Galerie« entwickelte. Der
      entscheidende Durchbruch gelang mit der Duplex-Drucktechnik, die im Ge-
      gensatz zu dem früher üblichen Kupfertiefdruck die Aura der modernen Print-
      Technik hervorrufen konnte.
      Diese mediengerechten Reproduktionsmöglichkeiten sind nur zum Teil genutzt
      worden. Für den im Hatje und Cantz Verlag erschienenen Katalog über »Cruel
      und Tender« gilt dies für die Farbtafeln. Der im Dumont Verlag erschienene
      Katalog von »Jede Fotografie ein Bild« überzeugt nur mit den Schwarz-Weiß-
      Reproduktionen. Die anderen Kataloge verharren auf dem gestalterischen und
      drucktechnischen Niveau eines Sachbuches.

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