Leuners »fortlaufende Anmerkungen« Nr. III
      2004 - Seite 4

      Vor Ort

      Köln:

      Für »Cruel und Tender« war die Publikumsresonanz, ähnlich wie in London,
      überwältigend und machte ordentlich Punkte für die Statistik des Museums
      Ludwig. Dies liegt sicherlich daran, dass in großzügigen Räumen in klarer,
      sparsamer Hängung fast ausschließlich Fotografien über Menschen gezeigt
      wurden. Die Auswahl der Fotografen entspricht der für Thomas Weski be-
      kannten Liste, die er schon seit seiner Kuratorzeit am Sprengel Museum in
      Hannover bespielt: Von Robert Adams bis Garry Winograd, Künstler der
      »Straight Photography« und ihre deutschen Pendants. Es scheint die Lebens-
      aufgabe von Weski geworden zu sein, diese Position einer »wirklichkeits-
      orientierten« Fotografie der Öffentlichkeit einzuhämmern. Daran entzündet
      sich aber auch seit Jahren die anhaltende Kritik an seiner Kuratortätigkeit.
      Siehe: Peter V. Brinkemper in Photonews 11/03, Seite 2, zu »Von Körpern
      und anderen Dingen«.
      Der Eindruck von der Dominanz dieser Position dürfte aber ihre Ursache im
      Fehlen anderer profilierter Kuratorenpersönlichkeiten der zeitgenössischen
      Fotografie haben.
      Als negatives Beispiel sei hier die Nachfolgerin von Thomas Weski am
      Sprengel Museum in Hannover - Inka Schube - genannt. Ein Ausschnitt aus
      ihrem ins Internet gestellten Vorwort zur aktuellen Ausstellung Zoltán Jókays
      belegt dies eindringlich: »Die Bildsprache Zoltán Jókays liegt in einem vor-
      modernen historischen Referenzraum, auch wenn der Fotograf sich auf Vor-
      bilder wie August Sander oder Diane Arbus bezieht. Sie ist von einer altmeis-
      terlichen, auch alttestamentarischen Ausdrucksintensität, die auf das Barock,
      auf Maler wie Raffael verweist. Dazu bedarf es keiner opulenten Formate,
      keiner nachweislich der christlichen Ikonografie verpflichteten Bildzeichen:
      Es ist eher die Art, wie Jókay menschliche Seinszustände kondensiert. Man
      kann diese Arbeitsweise, bezogen auf seine Vorfahren, auf Sander und Arbus,
      als Schritt zurück nach vorn bezeichnen. Nie seziert er seine Modelle
      nach den Spielregeln der kritischen Moderne. Damit bleiben sie in einem fast
      romantischen Sinne immer Menschen in einem intimen Moment der Vergewis-
      serung von Identität.«
      Das ist Betroffenheitslyrik, aber kein kuratorischer Text. Dem Fotografen hilft
      der Text auch nicht, er kann nur das Gegenteil bewirken.

      Worum es eigentlich geht, ist die Vorstellung eines Dokumentarfotografen
      der Generation der neuen deutschen Fotografie aus den 90er Jahren. Die Be-
      sonderheit dieser Gruppe von Porträtfotografen ist die Dominanz eines zu-
      rückgenommen Stils in leichter, narrativer, reportagehafter Art, der weich und
      mit pastellenen Tönen bewusst regionale Themen aufgreift. - Bernhard Fuchs,
      Albrecht Tübke, Göran Gnaudschun, Jitka Hanslová, um nur einige Namen
      zu nennen. Dies als deutliche Abgrenzung zu dem Stil der Becherschüler,
      die sich als Werbetrommler für Globalisierungsgewinner haben missbrauchen
      lassen. Vorbilder sind bewusst mit introvertierten Bildern arbeitende amerika-
      nische Fotografen der »New Topographics«, besonders Robert Adams und
      deren Nachfolger in der Farbfotografie. Alle Beteiligten verbindet eine ostel-
      bische Biografie mit fotografischer Sozialisation in der Nachwendezeit im Westen.

      Aber zurück zu den Anforderungen an einen zeitgemäßen Kurator für Fotografie.
      Die »Künstlerliste« ist Autorenrecht des Kurators, also sakrosankt. Ob die Bil-
      der dann überzeugen, ist eine andere Sache. »Geheimhaltungsstufe1« gilt
      aber immer noch bei der Auswahl (Wahl ist wohl das falsche Wort) des Kura-
      tors und dem damit vorgelegten Konzept.

      Jedoch gewinnt eine immer größere Bedeutung der öffentlich kommunizierte
      Ausstellungsprozess. Als Beispiele seien hier nur die Dokumenta 10 und 11
      erwähnt. Es geht darum, die Prozesse des Ausstellungswerdens nach außen
      transparent zu machen. So wird die Ausstellungsfindung Teil des öffentlichen
      Veranstaltungsdiskurses, an dem das Publikum teilnehmen kann.

      An solchen Erfahrungen und Versuchen fehlt es im Bereich der Fotografie
      völlig. Dies ist auch bei Weski so. Dieses Fehlen einer öffentlichen Kommuni-
      kation ist einer der Gründe, warum Weski als Kurator Einseitigkeit bei der Aus-
      wahl der Künstler vorgeworfen wird. Der Ruch des monomanen Förderers
      einiger weniger Künstler lässt sich nicht so einfach abschütteln.

      Hintergrund ist natürlich die rasante Entwicklung der Fotografie, bei der es
      außer den eigenen Beobachtungen und deren theoretischen Würdigungen
      keine Anhaltspunkte gibt. Da ist der gelernte Fotograf Thomas Weski nicht
      in seinem Element. Seine Theorie der »wirklichkeitsbeschreibenden Foto-
      grafie« ist nur ein Zeichen von Unsicherheit, mit neuen fotografischen Posi-
      tionen umzugehen. Ein inszeniertes Bild kann »wirklichkeitsnäher« sein als
      ein aus der Beobachtung heraus fotografiertes. Beispiele: Boris Mikhailov -
      siehe dazu meine Anmerkungen zur Ausstellung »Corpus Christi«- oder
      August Sander. Sind seine Bilder nicht inszenierte Porträts von ausgewählten
      Modellen - Würde man nicht heute sagen, Sander sei der Erfinder der durch
      die Werbung populär gewordenen »People Photography«- Ist nicht das digi-
      tale Basteln von Andreas Gursky »Foto-Grafik« im realistischen Stil ohne
      »Wirklichkeitsnähe« - Zum Beispiel sein in der Ausstellung gezeigtes Bild
      »Greely« aus dem Jahre 2003?
      Wesentlicher erscheint für mich aber eine methodische Kritik an Weskis Ku-
      ratortätigkeit: Die einzelnen Künstler werden losgelöst von ihrem historischen
      und gesellschaftlichen Kontext gezeigt und auf scheinbar subjektive Künstler/
      Fotografen-Positionen reduziert. Ein Referenzrahmen von einigen Künstlern
      zur Erklärung der fotografischen Wirklichkeitserforschung im 20. Jahrhundert
      erinnert fatal an eine Geschichtsschreibung, die die Abfolge der Zeiten mit
      Herrschern und bedeutenden Personen beschreibt. Aktuelle Diskussionen
      über Kunst, Kultur und den Gesellschaftsbegriff gleiten an dieser «naiven»
      Weltsicht ab.

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