Leuners »fortlaufende Anmerkungen« Nr. III
      2004 - Frühjahr/ Sommer

      Diese Ausgabe der »fortlaufenden Anmerkungen« beschäftigt sich mit dem
      Thema der Fotografie in der »staatlichen Hochkultur«.

      Fotografie im Museum - »Stagnation im Umbruch«
      Ein Überblick

      Frühjahr 2004

      Immerhin, die zeitgenössische Fotografie hat es geschafft, in die heiligen
      Hallen der deutschen Museen einzuziehen. Wie selbstverständlich wurden
      im letzten halben Jahr in München, Köln, Hamburg und Berlin große Über-
      blicksausstellungen über wichtige fotografische Positionen vorgestellt.
      Das ist sicherlich bemerkenswert, da noch bis 1990 der Satz galt, für
      Fotografie ist der richtige Ort das Kunstgewerbe- und das Fotomuseum.

      Am ambitioniertesten zeigte sich die von Thomas Weski und Emma Dexter
      kuratierte Ausstellung »Cruel und Tender«, die zuerst in der Tate Modern in
      London gezeigt wurde. Sie stellt den Versuch dar, das Museum Ludwig Köln
      aus der miefigen Ecke der L. Fritz Grubert Sammlung zu befreien, die das
      kulturelle Feigenblatt der Fotokina darstellte.
      (29. November 2003 bis 18. Februar 2004)
      Förmlich vor Ehrgeiz vibrierte die Ausstellung »A Clear Vision«, die aus der
      Sammlung Gundlach zusammengestellt wurde und in den Deichtorhallen
      Hamburg den Einstand des Internationalen Hauses der Photographie feierte.
      Der Kunstgeschichtler Zdenek Felix war der Kurator.
      (Vom 29. Oktober 2003 bis 25. Januar 2004)
      Groß in Szene gesetzt zeigte sich München mit »Jede Fotografie ein Bild, die
      Siemens Fotosammlung« in der Pinakothek der Moderne, anlässlich der Über-
      gabe der Sammlung an den Bayrischen Staat. Eingerichtet von der Fotoarchi-
      varin Inka Graeve Ingelmann.
      (18. Dezember 2003 bis 07. März 2004)
      Als Schlusslicht Berlin, wo große Fotografieauftritte nur durch Importe der
      Festspiel AG (Martin Gropiusbau) oder Ausstellungen im Deutschen Histo-
      rischen Museum möglich sind. »Von Körpern und anderen Dingen« heißt der
      Titel des Spektakels im Deutschen Historischen Museum, das genauso ver-
      worren auftritt wie die verschlungenen Wege der Rezeption der Fotografie in
      Deutschland seit den 70er Jahren. Kein anderer verkörpert dieses Schlingern
      zwischen Größenwahn und Minderwertigkeit so wie ihr Kurator Klaus Honnef.
      Er ist der »deutsche Fotospezialist«, der »unsere« Fotografie seit dem Ende
      der 70er Jahre bei ihrem Gang zwischen biederer Amateurerotik, postmoder-
      nem Bilder-Basteln und dokumentarischer Autorenfotografie begleitet hat.
      (19. November 2003 bis 16. Februar 2004)

      Also: viermal große Auftritte für die Fotografie in unmittelbarer zeitlicher Nähe.
      Sicherlich ein Zufall, aber auch ein besonderes kulturelles Ereignis, das gera-
      de dazu herausfordert, den Stand der musealen deutschen Fotokultur kritisch
      zu begutachten.

      Was mittlerweile klar ist: Der Boom der Fotografie in den 90er Jahren und der
      völlig überraschende Erfolg der im Inland kaum wahrgenommenen deutschen
      Fotografie hat zu fieberhaften Aktivitäten der Museen geführt. Das völlige
      Fehlen einer eigenen Sammlung in der traditionellen deutschen Museums-
      landschaft löst allerorts große - zumindest verbale - Aktivitäten aus.

      Die Schaumschläger par excellence sind die Staatlichen Museen Preußi-
      scher Kulturbesitz in Berlin. War es am Anfang noch das Deutsche Centrum
      für Photographie im Stülerbau, so wurde jetzt ein Mini-Museum geboren: Über
      dem Newton Museum im Gebäude Jebensstraße 2 wurde im ehemaligen
      Kaisersaal das Berliner Fotomuseum mit Arbeiten von Raimund Kummer
      eröffnet. Und wie sieht dieser Saal aus? Wie Berlin: Ein ehemaliger Festsaal
      von 665 Quadratmetern mit einer Raumhöhe von elf Metern, im Zweiten Welt-
      krieg zerstört, danach nur mit den Rohmauern wiederhergestellt.Nackte Ziegel-
      wände mit sichtbarem Dachstuhl, Orte, die es in Berlin wie Sand am Meer
      gibt. Jeder Kommentar ist hier überflüssig.

      Der Trend für die Fotografie in diesem Jahrzehnt wird von der Bevölkerung vor-
      gegeben: Die Sucht nach Bildern von sich und den anderen ist ungebrochen
      und nimmt mit Handykamera und Mini-Videoclips neue Dimensionen an.
      Auch wenn sich der von der Moderne gebeutelte Kunstbetrieb ein Päuschen
      beim geklonten Leipziger Mal-Allerlei nimmt, ist das nur das Gebell der Hunde,
      die Karawane zieht weiter. Zeigen doch die digitalen Folterpornos aus Abu
      Ghraib blitzartig, dass dank dem Internet eine neue Ära der Bilderpropagan-
      daschlacht begonnen hat. Und die kommt, wie immer, von unten.

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