- fortlaufende
anmerkungen
1.
folge [april-mai 2003]
In
den »fortlaufenden Anmerkungen« stelle ich kurz aktuelle Ereignisse
der
- Fotografie
vor, die mir erwähnenswert erscheinen. Meine Anmerkungen zu
- diesen
Ereignissen sollen zu weiterem Diskurs anregen. Um in diesem Sinne
- das
Medium Internet zu nutzen, habe ich alle im Artikel angesprochenen Ein-
- richtungen
vorab informiert und ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme
- gegeben.
In dieser Ausgabe hat davon nur Rudolf Kicken gebraucht
- gemacht.
Siehe unter 3.
Der
Poptheoretiker und Professor an der März Universität, Diedrich
Diederich-
- sen,
schrieb in der »Tageszeitung«
am 16. April 03 über den experimentellen
- Film
und seiner Suche nach einem Asyl in der bildenden Kunst. Der Titel lautete:
- »Von
den Aufgaben der Bilder«. Diedrich Diederichsen knüpfte dabei
an dem
- Boom
der Video-Kunst an und an dem Wechsel vom »White Cube«, dem
wei-
- ßen
Ausstellungsraum zum »Black Cube«, dem dunklen Kino Raum. Die
Do-
- cumenta
11 (im letzten Jahr) macht das sehr deutlich. Überwiegend wurden
- die
Räume mit Monitoren (klassische Video-Kunst) oder Beamern (Projektion
- der
klassischen Filmkunst) bestückt. Thematisch handelt es sich bei der
neuen
- Video-Kunst
um ambitionierte Projekte, die sich sehr dokumentarisch geben.
- Von
der Ästhetik her greifen sie deutlich auf 100 Jahre Filmgeschichte
zurück.
- Noch
in den siebziger Jahren wären solche »Filme« auf experimentalfilm
Festi-
- vals
gezeigt worden. Diesen Artikel
von Diedrich Diederichsen habe ich bei
- einer
Veranstaltung im Münchener
Stadtmuseum wieder gefunden. Er
- war
auf dem Programmzettel für die Vorstellung der Filme Sharon Lockarts
- abgedruckt.
Die Sammlung Goetz präsentierte an diesem Abend einige Filme
- von
Sharon Lockart, die sich im Grenzbereich zwischen Filmfestival und
- bildenden
Kunst bewegten.
Anmerkung:
Ich finde diesen Gedanken des Asyls (der nicht ganz neu ist)
- auch
für die Fotografie fruchtbar. Es gibt Parallelen. Zum Beispiel: In
den Print-
- Medien
ist eine narrative Reportagefotografie völlig verschwunden und durch
- die
Illustrationsfotografie verdrängt worden. Wo sind die Leute, die Kultur
und
- ihre
Bedürfnisse für diese Art von Fotografie geblieben? Sind sie
einfach nur
- verschwunden?
(Das wäre die Position des Kulturpessimisten.) Oder tauchen
- sie
bei einem Jeff Walls, der inszenierten Fotografie oder bei der kargen deut-
- schen
Dokumentarfotografie wieder auf? Was hat dieses Ausweichen in die
- bildende
Kunst und Kunstfotografie zur Folge?
2.
»Cross-Over« oder, wie man Künstler wird
Der
Modefotograf Jürgen Teller: Zwei Ausstellungen mit seinen Bildern
zeigen
- eindringlich,
wie unterschiedlich ein Fotograf in der Öffentlichkeit präsentieren
- werden
kann.
Anfang
des Jahres stellte Ute Eskildsen (Leiterin Fotografische Sammlung des
- Folkwang
Museum Essen) die Ausstellung »Märchenstüberl« vor.
Stationen:
- Museum
Folkwang und Stadtmuseum
München. Dazu erschien ein Ka-
- talog
mit einem Interview, dass Ute Eskildsen mit Jürgen Teller geführt
hatte.
Die
zweite Ausstellung wurde ich Berlin im Juni unter dem Titel »zwei
Schäu-
- ferle
mit Kloß und eine Kinderportion Schnitzel mit Pommes Frites»
in der Ga-
- lerie
Contemporary
Fine Arts gezeigt. Auch hier gab es einen Katalog
- (Steidel
Verlag).
Zur
Information über die Galerie Contemporary Fine Arts. Die Galerie vertritt
- z.B.
den derzeitigen Liebling der Kunstszene, den jungen Performancer und
- Maler
Jonathan
Meese.
Anmerkung:
Jürgen Teller ist wie Wolfgang Tillmanns ein erfolgreicher Mode-
- fotograf
der mittdreißiger Generation. Was mit Tillmanns funktionierte, der
- Wechsel
(neudeutsch »Cross-over«) von der reinen angewandten Fotografie
- hin
zur Kunst (mittlerweile ist er Professor am Städelschule in Frankfurt),
wird
- mit
Teller versucht. Der Ausgang ist offen.
Die
beiden Ausstellungsprojekte Tellers zu vergleichen, ist daher sehr auf-
- schlussreich.
Der
Titel der Ausstellung »Märchenstüberl« bezieht sich
auf neue Arbeiten
- Jürgen
Tellers. Sie sollen autobiografisch sein und die Auseinandersetzung
- des
Fotografen mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft und seiner neu gewon-
- nen
Vaterrolle widerspiegeln. In der Ausstellung selbst wurde jedoch ein an-
- deres
Konzept umgesetzt: Ein bekannter junger Modefotograf soll mit seinen
- »besten«
Arbeiten vorgestellt werden. Alle wichtigen Fotografien aus den
- letzten
Jahren sind versammelt: Sowohl die ihn bekannt gemachten Mode-
- schmuddelbilder
z.B. von Kate Moss, Teile aus »Märchenstüberl«, »go-see«
- und
neue Arbeiten über Schönheitsköniginnen. Eine wirkliche
Überraschung
- ist
ein Video - als Premiere. Es zeigt Jürgen Teller in Unterhaltung mit
den
- jungen
Modells bei seiner Arbeit während der »go-see«.
In
der Ausstellung sind Auftragsarbeiten mit persönlichen (Autoren-)
Foto-
- grafien
vermengt. Das macht ratlos. Eigentlich weiß man nicht so richtig,
- warum
man sich in dieser Breite und dabei nur ausschnitthaft solch ein
- Kongolomerat
von Bildern anschauen soll. Der museale Anspruch der Aus-
- stellungsmacherin,
eine Übersicht über die Arbeiten Tellers zu geben, kol-
- lidiert
mit der Tatsache, dass er (noch) kein berühmter Fotograf ist, ge-
- schweige
denn ein Klassiker der Fotogeschichte. Das Interview mit dem
- Fotografen
ist auch nicht sonderlich erhellend. Jürgen Teller ist ganz der
- handwerkliche
Fotograf, dessen intellektuelle Fähigkeiten deutlich begrenzt
- zu
seien scheinen.
Bei
den Kunstmarktprofis von Contemporary Fine Arts konnte man mit die-
- sem
Konglomerat von Fotografie nichts anfangen. Es ging ja darum, Jürgen
- Teller
im Bereich der bildenden Kunst durchzusetzen. Ein klares Image
- musste
daher her und eine klar definierte Serie verkaufbarer Bilder.
Die
Vorgabe wurde durch eine strenge Auswahl der Fotografien erreicht -
- meist
stammten sie aus dem Fundus von »Märchenstüberl«.
Und dazu
- wurden
größere Abzüge gewählt und Kunstmarktrahmen. Inhaltlich
wird
- jede
platte autobiografische Erzählstruktur vermieden und die Bilder als
- Produkt
künstlerischer Fantasien vorgestellt. Es soll dabei auch etwas
- Unaussprechliches
mitgeteilt werden. Der Titel ist kryptisch aber vulgär.
- Der
Katalog streng im Layout und Auswahl signalisiert »Künstlerbuch«,
- natürlich
ohne Interview. Eine neue Bildstrecke ist dazu gekommen:
- Teller
hat in Tropfsteinhöhlen Steinformationen angeblitzt. Es sind Bilder
- entstanden,
die Assoziationen an Geschlechtsorgane provozieren. Die
- notwendige
Prise Erotik ist damit auch enthalten. Mich hat dieses Kon-
- zept
der Vermarktung sehr an die Strategie für Jonathan Meese erinnert,
- Genre:
»wildgewordener Kleinbürger«. Dieses Konzept scheint durchaus
- ein
spezielles Sammler- und Kunstklientel anzuziehen. Wenn man Jürgen
- Tellers
Video zu »go see« ansieht, könnte dieses Konzept durchaus
auf-
- gehen.
Es zeigt einen dicklichen, unrasierten Dreißigjährigen in seinem
- Studiodurcheinander,
der von Mädels um die zwanzig umlagert wird, die
- um
seine Anerkennung als (softsex) Modells buhlen.
3.
Der Fragile der Nacht abgestürzt?
Der
schwedische Fotograf Christer Strömholm taucht aus der Versen-
- kung
auf.
In
diesem Jahr wurden in Berlin zwei Ausstellungen mit seinen Arbeiten
- gezeigt:
»Christer Strömholm, Lebenswerk und Fotoschule« im Willy
- Brandt
Haus (zwei Kataloge) und »Christer Strömholm, An Hommage«
- in
der Galerie Kicken Berlin.
Ich
persönlich schätze Christer Strömholm sehr, da er zu einer
foto-
- grafischen
Kultur gehört, die in den 50er Jahren eine bisher nicht mehr
- wiedergefundene
Radikalität der bildnerischen Sprache entwickelt hatte,
- der
auch die entsprechenden Inhalte gegenüberstanden. Beispiele
- wären:
William Klein, Ed van Elsken, Daido Moriyama u.a.
Verglichen
damit haben z.B. Fotografien der »Becher-Schüler« und
der
- nachfolgenden
Generation eine fast unerträgliche Biederkeit sozu-
- sagen
die Kohl-Ära in der Fotografie.
Christer
Strömholm muss heute so gut wie neu entdeckt werden.
Berufen
kann man sich dabei auf das ihm gewidmete »Camera-Heft
- Nr.9«
vom September 1980. Der Text des damaligen Herausgebers, der
- im
Bucher-Verlag erschienen Kunstfotografiezeitschrift »Camera«,
- Allen
Porter, dürfte das Fundament einer heutigen Rezeption sein.
- Um
es in Stichworten zu sagen: Christer Strömholm ist der magische
- Fotograf
des Nachkriegstraumas. Diese Verarbeitung dieses Traumas
- formulierte
sich in Literatur und Theater im Existenzialismus. Im Film
- waren
es die Arbeiten von Alain Resnais und Igmar Bergmann, in
- der
Literatur Sartre. Mit Strömholm direkt vergleichbare fotografische
- Arbeiten
gibt es nicht. Anklänge sind bei Ed van Elsken und Shomei
- Tomatsu
zu finden, thematische Bezüge bei Zdenke Tmej, »Abededa»
- (siehe
in: The Book of 101 Books). Wie wurde diese Vorgabe durch
- die
beiden Institutionen umgesetzt?
Im
Willy-Brandt-Haus
hingen hervorragenden Prints in großer Anzahl.
- Bei
der Auswahl und der Hängung wurde die Hand von Fotoredak-
- teuren
der Printmedien erkennbar, die in Bildstrecken denken. Es wur-
- den
also alle Portraits zusammen gezogen, dann die Kinder, das Gra-
- fische
u.s.w. Der Katalog folgte demselben Prinzip. Dieses Vorgehen
- hat
zur Konsequenz, dass die Motive sich völlig in den Fordgrund
- schieben
und differenziertere Aussagen »platt gewalzt« werden.
Anmerkung:
Als Ergebnis dieses Vorgehens wird ein Fotograf der
- 50er
Jahre vorgestellt, der alle Motive auch fotografiert hat, wie die
- Großen
seiner Zeit: Brassai, Doisneau, Cartier-Bresson etc. Bei
- Strömholm
sieht zwar alles etwas düsterer aus als bei den leichtle-
- bigen
Franzosen. Aber das dürfe eben die »schwedische Variante«
- sein.
Dass Strömholm Nachkriegsfotograf ist und mit der Bildsprache
- des
Fotojournalismus der 30er Jahre nur die Kleinbildkamera, den
- Schwarz-Weiß
Film und Paris gemeinsam hat, wird nicht erkennbar.
- Die
Verortung im Existenzialismus scheint sich im Nichts aufgelöst
- zu
haben.
Warum
Christer Strömholm so kastriert wird, lässt sich sicherlich er-
- klären.
Das hat viel mit der schwedischen Kultur und mit der Kunst-
- vorstellung
der konservativen Sozialdemokratie zu tun. Alles Dinge,
- denen
Strömholm in seinem Leben sehr distanziert gegenüberge-
- standen
hatte.
Die
Ausstellung bei Kicken
macht dagegen eine verblüffende Wende.
- Die
»Hommage an Christer Strömholm« findet nicht statt. Ca.
10 Prints
- von
Christer Strömholm sind im kleinen Eingangsraum ausgestellt
- (Kicken
II). In Kicken I wird subjektive Fotografie des Otto Steinert
- gezeigt.
In dieser Ausstellung sind Bilder von Christer Strömholm
- integriert.
Es hatte eine kurzfristige Programmänderung gegeben.
- Neuer
Titel: Christer Strömholm, »A Hommage & More Subjective
- Photography«.
Anmerkung:
Das vorherrschende Element der subjektiven Foto-
- grafie
des Otto Steinert besteht darin, den grafischen Aspekt der
- Fotografie
zu betonen. Wert wurde also auf die Weiterbearbeitung
- der
Fotografie in der Dunkelkammer gelegt. Erst durch diese (sub-
- jektive
also durch den Mensch und nicht durch den Apparat)
- erfolgte
Bearbeitung des Ausgangsnegativs entstand Kunst. So
- das
Steinertsche Programm in Kurzform. Christer Strömholm hat
- seine
Fotografien sehr sorgfältig in der Dunkelkammer ausgearbeitet,
- wobei
die Bearbeitung immer im Dienst des Narrativen des Bildes
- stand.
Konsequenterweise hatte er sich nach seiner Teilnahme an
- der
ersten Ausstellung subjektive Fotografie von Otto Steinert und
- seiner
formalistischen Fotografie distanziert. Der Titel der Ausstel-
- lung
bei Kicken suggeriert aber, dass Strömholm einer der subjek-
- tiven
Fotografen um Otto Steinert gewesen wäre. Meine erste
- Schlussfolgerung
über den Grund des Programmwechsels war:
- Die
subjektive Fotografie ist für Sammler derzeit die Kaufempfehlung,
- da
sie angeblich noch bezahlbar ist. Am 5. Juni versteigerte zum
- Beispiel
Dietrich Schneider-Henn in München »Otto
Steinert + sub-
- jektive
Fotografie« mit 270 (!) Katalognummern. Und: Der wich-
- tigste
Aspekt bei Stömholms Arbeiten, der Existenzialismus, scheint
- nicht
vermarktbar zu sein.
Nachdem
ich die Galerie Kicken über den Inhalt des Berichts infor-
- miert
hatte, bat mich Rudolf Kicken sofort um ein Hintergrundsge-
- spräch.
»Ich war über die Ausstellung im Willy Brandt Haus sehr
- schockiert.
Eigentlich hätten wir danach die Strömholm Ausstellung
- absagen
müssen. Schon vor 12 Jahre hatten wir in Köln eine Einzel-
- ausstellung
mit Strömholm gezeigt, die auch den Aspekt des Exi-
- stenzialismus
deutlich herausgearbeitet hatte. Aus dieser Zeit hatte
- sich
auch eine sehr persönlich Beziehung zu Strömholm entwickelt.
- Ich
fühlte mich daher verpflichtet, die Ausstellung nicht abzusagen.
- Als
Ausweg hat sich der Aspekt der subjektiven Fotografie in Ström-
- holms
Arbeiten angeboten, der so noch nie gezeigt worden ist.«
Fazit:
Was hier wieder deutlich wird - es gibt in Berlin keine Institu-
- tion
(Museum oder Kunstverein, Stiftung oder Ähnliches), die sich
- für
die zeitgenössische Fotografie und für die Rezeption des Me-
- diums
verantwortlich fühlt.
©
Thomas Leuner, Mai 2003
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